Heiliger Fünfliber: Schweizerinnen und Schweizer halten am Bargeld fest

In der Schweiz hat elektronisches Geld erstmals das Bargeld bei Einkäufen im Alltag überholt. Die Schweizerinnen und Schweizer halten jedoch weiterhin am Banknoten und Münzen fest, und zwar auf eine Art und Weise, die manchmal sogar im Ausland für Staunen sorgt.
Seit einigen Jahren wird digitales Geld zunehmend anstelle von Bargeld eingesetzt. Dieses Phänomen hat sich während der Lockdowns der Coronavirus-Pandemie noch verstärkt, als digitale Zahlungen aus Gesundheitsgründen dem Austausch von Banknoten und Münzen vorgezogen wurden.
In der Schweiz deuten schon seit Längerem mehrere Faktoren darauf hin, dass Bargeld gegenüber digitalen Lösungen an Boden verliert. Der wachsende Erfolg von Twint, der von Schweizer Finanzinstituten entwickelten Zahlungsanwendung, verdeutlicht diese Entwicklung.
Im vergangenen Jahr verzeichnete Twint mit 773 Millionen Transaktionen eine neue Rekordzahl. Das ist ein Plus von 31% gegenüber dem VorjahrExterner Link.
Der Fortschritt ist atemberaubend. Zum Vergleich: Bei der Einführung im Jahr 2017 verzeichnete Twint «nur” vier Millionen Transaktionen.

Das Bargeld ist entthront
Verschiedene Studien deuteten bisher darauf hin, dass Bargeld bei den Schweizerinnen und Schweizern weiterhin beliebt ist.
So zeigte beispielsweise der «Swiss Payment Monitor 2023»Externer Link der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Universität St. Gallen, dass Bargeld zwar gegenüber der digitalen Konkurrenz die Nase vorn hat, sein Anteil seit der ersten Erhebung im Jahr 2019 allerdings stark abgenommen hat.
Doch was sich schon damals ankündigte, ist jetzt Tatsache: Zum ersten Mal hat digitales Geld seinen physischen Konkurrenten bei alltäglichen Einkäufen vom Thron gestossen. Dies geht aus einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der Schweizerischen NationalbankExterner Link (SNB) hervor.
Die Erhebung zur Nutzung von Zahlungsmitteln durch Privatpersonen in der Schweiz im Jahr 2024 zeigt, dass digitales Geld bei allen Zahlungen «vor Ort», also im Laden, am Schalter oder am Automaten, erstmals dem Bargeld den Vorrang abgenommen hat.
Gemäss dieser im vergangenen Herbst unter 2000 in der Schweiz wohnhaften Personen durchgeführten Umfrage ist die Debitkarte das am häufigsten genutzte Zahlungsmittel für alltägliche Einkäufe. Zahlungen per Mobiltelefonen machten fast jede fünfte Transaktion aus.
Die seit 60 Jahren existierenden physischen Schecks werden durch digitale Geschenkkarten ersetzt. Bereits im Umlauf befindliche Schecks behalten jedoch ihre Gültigkeit ohne zeitliche Begrenzung.
Reka-Checks können bei 4500 Unternehmen zum Vorzugspreis bezogen werden. Damit können Sie an rund 6000 Akzeptanzstellen Angebote aus den Bereichen Ferien, Freizeit und öffentlicher Nahverkehr bezahlen.
Für die Reka-Checks war der Wandel zum elektronischen Geld fatal. In einer Medienmitteilung gab die Stiftung Reka bekanntExterner Link, dass sie die Ausgabe per Ende 2025 einstellen werde.
«Mit der endgültigen Digitalisierung der Produkte von Reka-Geld bekräftigt Reka ihren Anspruch als Pionierin der beliebtesten Schweizer Lohnnebenleistung”, heisst es in der Mitteilung.
Das Thema wurde unterdessen auch politisch
Könnte der Rückgang des Bargelds so lange anhalten, bis es vollständig verschwindet? Diese Hypothese ist nicht weit hergeholt: In den nordischen europäischen Ländern ist das Phänomen bereits so ausgeprägt, dass es in Schweden manchmal schwierig ist, mit Bargeld zu bezahlen.
Ist ein solches Szenario in der Schweiz möglich? Die SNB bezweifelt dies. In einem Bericht mit dem Titel » Brauchen wir irgendwann gar kein Bargeld mehr?”Externer Link schreibt sie: «Banknoten und Münzen im Portemonnaie scheinen überflüssig zu werden. Doch der erste Blick trügt – die Realität ist vielschichtiger.»
In Schweden hat der rapide Rückgang des Bargelds die Behörden zum Eingreifen veranlasst. Seit dem 1. Januar 2020 schreibt ein Gesetz vor, dass Bargeldabhebungen im Umkreis von 25 Kilometern um die eigene Wohnung möglich sein müssen.
Dieses Gesetz wurde fast einstimmig verabschiedet. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier kamen zum Schluss, die Digitalisierung könnte zu einer Diskriminierung bestimmter Personengruppen führen – beispielsweise von Menschen, die aufgrund extremer Armut keinen Zugang zu einem Bankkonto oder Mobiltelefon haben.
In der Schweiz hat die Freiheitliche Bewegung Schweiz (FBS) dazu die Volksinitiative «Ja zu einer unabhängigen, freien Schweizer Währung mit Münzen oder Banknoten (Bargeld ist Freiheit)»Externer Link eingereicht.
Der Text stammt aus Kreisen, welche die Anti-Covid-Massnahmen des Bundes abgelehnt haben. Er fordert Garantien für den Erhalt des Bargelds in der Schweiz und verlangt, dass eine mögliche Ablösung des Schweizer Frankens durch eine andere Art von Währung der Zustimmung des Volks und der Stände bedarf.

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Kein Bargeldlimit
Doch diese Initiative dürfte überflüssig sein, denn die Schweizerinnen und Schweizer scheinen am Bargeld festzuhalten: Die neuste Umfrage der SNB zu Zahlungsmitteln zeigt, dass sich 95% der Befragten weiterhin Bargeld als Zahlungsmittel wünschen.
Diese Verbundenheit zum Bargeld spiegelt sich auch in einer sehr flexiblen Bargeldgesetzgebung wider. Tatsächlich ist sie so flexibel, dass sie in anderen Ländern mit viel strengeren Regulierungen überrascht.
In den meisten europäischen Ländern gibt es bereits eine Obergrenze für BargeldtransaktionenExterner Link. Beispielsweise liegt diese in Frankreich und Italien bei 1000 Euro und in Griechenland bei 500 Euro. Nur in wenigen Ländern wie Österreich, Zypern und Luxemburg gibt es (noch) keine Beschränkungen.
Doch das soll sich ändern: Das Europäische Parlament hat einer Obergrenze von 10’000 Euro zugestimmt, die im Jahr 2027 in Kraft treten soll. Das Ziel besteht darin, Geldwäsche und die Finanzierung von Terrorismus zu bekämpfen.
In der Schweiz gibt es jedoch keine Begrenzung. Einzige Voraussetzung ist ein Identitätsnachweis bei Barauszahlungen ab 100’000 Franken.

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Auch beim Transport gibt es keine Einschränkungen. Lediglich beim Grenzübertritt gibt es eine kleine Ausnahme: Ab einem Betrag von 10’000 Franken muss die Identität sowie die Herkunft und das Ziel der Gelder angegeben werdenExterner Link. Dies gilt jedoch nur, wenn der Zoll Sie dazu auffordert…
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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